Content

Auch ein Vierteljahrhundert nach seinem Tod sorgt Rudolf Nurejew noch für einen Theaterskandal: Unmittelbar vor der Premiere am Bolschoi wird das Ballett „Nurejew“ über den Jahrhundert-Tänzer abgesetzt. Offiziell, weil die Theaterleitung es für unfertig erachtet, inoffiziell, weil in Russland Themen wie Homosexualität oder Flucht in den Westen auch 2017 noch Anstoß erregen. Einige Monate später kommt das Stück dann doch noch heraus, im Juni 2018 erhalten die Produktion und ihr in Hausarrest befindlicher Regisseur Kirill Serebrennikow den renommierten Tanz-Preis „Benois de la danse“.
Und skandalös ist auch schon Nurejews Leben: Der erotische Popstar des Balletts ist ebenso maßlos wie divenhaft, im Applaus regnet es für ihn Blumen, Liebesbriefe, gebrauchte Höschen, Zimmerschlüssel und einmal sogar einen Pelzmantel. Teenager, die sonst das Ballett meiden wie der Teufel das Weihwasser, kreischen von den Rängen „We want Rudi in the nude!“
Nurejew ist die die Inkarnation des schönen und genialen Wilden, des Tiers, das bei seinen legendären Sprüngen zu fliegen scheint. Und so holt er die männlichen Ballettrollen endgültig aus dem Schatten der Primaballerinas. All das getreu seinem Motto: „Du lebst, solange du tanzt.“
© Ulla Pilz, ORF - Radio Österreich 1

Facts


  • am 17. 3. 1938 in einem Zug der transsibirischen Eisenbahn geboren. Die Mutter ist zum Vater unterwegs, der in Wladiwostok stationiert ist. Beide sind tatarischer Herkunft, Nurejew wächst in einem Dorf bei Ufa in Baschkirien auf.

  • ab 1949 privater Ballettunterricht, 1953 erste Auftritte als Komparse in Ufa, alles gegen den Willen des Vaters. 1955 wird er am Choreografischen Institut Leningrad für eine Ballettausbildung akzeptiert, obwohl er mit 17 Jahren eigentlich schon zu alt ist

  • 1958 übernimmt er seine erste Solorolle am Kirow-Theater und gewinnt den Preis des nationalen Ballettwettbewerbs in Moskau. Innerhalb kürzester Zeit gehört er zu den bekanntesten Tänzern der Sowjetunion

  • 1961 Kirow-Gastspiel in Paris mit Nurejew in der männlichen Hauptrolle von „Schwanensee“. Nurejew sucht um politisches Asyl an. Ein sowjetisches Gericht verurteilt ihn dafür in Abwesenheit zu sieben Jahren Zwangsarbeit

  • Auftritte in Paris, New York und London folgen, 1964-1988 ist er Tänzer und Choreograph an der Wiener Staatsoper, 1982 erhält er die österreichische Staatsbürgerschaft. 1983 wird er künstlerischer Leiter des Balletts der Pariser Oper

  • 1991 erster Auftritt als Dirigent in Wien, 1992 dirigiert er an der Met zu seiner Choreographie von „Romeo und Julia“ und in San Francisco Beethovens Dritte

  • 1992 Gründung der Rudolf Nurejew Dance Foundation in den USA, in Europa wird nach Nurejews Tod die Ballett Promotion Foundation in Rudolf Nurejew Foundation umbenannt. Beide Organisationen dienen der Förderung des Tanzes

  • am 6. 1. 1993 stirbt Rudolf Nurejew in einem Pariser Krankenhaus an den Folgen seiner AIDS-Erkrankung. Er wird am russischen Friedhof Sainte-Geneviève-des Bois in der Nähe der Hauptstadt beigesetzt

  • wichtigste Auszeichnungen: 1988 Aufnahme in die französische "Légion d’honneur", Ehrenmitglied der Wiener Staatsoper. 1992 wird der bereits Schwerkranke zum "Commandeur des Arts et Lettres“ ernannt


Did you know?


  • Schon in der Kirow-Ballettschule erweist sich Nurejew als rebellisch: Er legt provinzielle Manieren an den Tag und will sich nicht unterordnen. Später sagt er, es hätte ihn belastet, dass seine Kommilitonen ihm technisch um Jahre voraus waren

  • Nurejew spielt mehrere Filmrollen. Die bekannteste ist die des Valentino in Ken Russels gleichnamigem Film aus dem Jahr 1977, Tony Richardsons Filmbiographie über Nijinskij mit Nurejew in der Titelrolle 1970 wird nicht vollendet

  • Rudolf Nurejew wird fast nur in Superlativen beschrieben: Da ist vom „Tanzgott“ die Rede, vom „Gott des Lichts“ (Martha Graham), vom „Jahrhunderttänzer“ oder vom „Luther des Balletts“, letzteres wegen der Reinheit seiner Bewegungen

  • 1962 sucht die 42jährige Margot Fonteyn einen neuen Bühnenpartner und entdeckt den 23jährigen Nurejew. Die beiden werden zum gefeierten Traumpaar des Balletts

  • Nurejew betrachtet sich als Nomaden, der nur auf der Bühne zu Hause ist und als Sklaven des Tanzes, weil er fast täglich dreizehn Stunden trainiert. Sein Lebensmotto ist Tschechows „Jeden Tag quetsche ich ein Stück Sklave aus meiner Seele“

  • Rudolf Nurejew stuft sich selber als sexsüchtig ein, auch aus seiner bisexuellen Neigung macht er kein Geheimnis. Einen langjähriger Lebenspartner gibt es dennoch: den zehn Jahre älteren dänischen Tänzer Erik Bruhn

  • Am Ende seines Lebens besitzt das Kind aus ärmlicher Familie unter anderem ein Schloss bei Monte Carlo, eine Inselgruppe bei Capri und Wohnsitze in New York, London und Paris.


Gallery