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Im Sommer 2016 kommt es in Bayreuth zum Eklat: Andris Nelsons verlässt kurz vor der Premiere des „Parsifal“, die er hätte dirigieren sollen, den grünen Hügel. In der Presseerklärung wird sein Abgang eher kryptisch mit „atmosphärischen Störungen“ und „unterschiedlichen Auffassungen“ begründet. Den Namen seines Widerparts nennt dabei keiner, aber in der Branche zweifelt kaum jemand daran, dass es sich um Christian Thielemann handeln muss, der seit 2015 den neu erfundenen Posten des Bayreuther Musikdirektors innehat. Andris Nelsons selbst gilt als unkomplizierter Maestro, dem alles Divenhafte fremd ist; aber auch er hat anscheinend seine Schmerzgrenzen, zumindest wenn sich jemand in sein Dirigat einmischt, wie es hier der Fall gewesen sein dürfte. Dabei ist Nelsons Bayreuth-Debut mit „Lohengrin“ 2010 ein fulminanter Erfolg, und auch der Vertrag für den „Ring“ 2020 ist und bleibt unterschrieben. Gut so, denn gerade bei seinem Lieblingskomponisten Wagner kann Andris Nelsons seine Stärken besonders gut zeigen, nämlich diese einzigartige Mischung von strukturierter, immer perfekt vorbereiteter Ernsthaftigkeit mit ansteckender, brennender, kraftvoller Leidenschaft.
© Ulla Pilz, ORF - Radio Österreich 1

Wissenswertes


  • Geboren als Einzelkind am 18.11.1978 in der lettischen Hauptstadt Riga. Die Mutter ist Musikpädagogin, Chorleiterin und Gründerin des Alte Musik-Ensembles „Canto“, der Vater ebenfalls Chordirigent und zudem Cellist

  • Bereits als Jugendlicher wird Nelsons Trompeter im Orchester der lettischen Nationaloper, wo er nach Dirigierstudien in Riga und St. Petersburg mit nur 24 Jahren 2003 auch seine erste Chefdirigentenstelle übernimmt

  • 2006-09 Chefdirigent der Nordwestdeutschen Philharmonie in Herford, in dieser Zeit Debuts am Pult zahlreicher maßgeblicher Häuser und Orchester (Met, Covent Garden, Wiener und Berliner Philharmoniker, Concertgebouw Amsterdam…)

  • 2008-2015 Chefdirigent des City of Birmingham Symphony Orchestra, 2010 Bayreuth-Debut

  • Seit 2014 Chef des Boston Symphony Orchestra, seit 2018 zusätzlich Gewandhauskapellmeister in Leipzig, er nützt diese „Doppelbelastung“ für eine Kooperation der beiden Organisationen samt Musiker-Austausch und Gastspielen

  • Wichtigste Auszeichnungen: Großer Musikpreis von Lettland, Diapason d´Or, dreimal Preis der Deutschen Schallplattenkritik und ein Grammy

  • Seit 2011 ist er mir der ebenfalls lettischen Sopranistin Kristine Opolais verheiratet, im gleichen Jahr wird die gemeinsame Tochter Adriana Anna geboren

  • Andris Nelsons hat einen Exklusivvertrag mit Deutsche Grammophon, 2012 bringt arte unter dem Titel „Genius on Fire“ eine Filmdokumentation über ihn heraus


Schon gewusst?


  • Als Kind will Nelsons Fußballer werden. Zu „seinem“ Instrument, der Trompete, findet er, weil ihn das Klavierspielen zu sehr stresst

  • Mit fünf Jahren erlebt er seinen ersten Opernbesuch, Wagners „Tannhäuser“ beeindruckt ihn derartig, dass er drei Tage lang fiebert, weint und nicht schlafen kann. Die Eltern fürchten, ihr Sohn wäre verrückt geworden

  • Seinen Mentor Mariss Jansons lernt er kennen, als bei dessen Gastspiel mit den Osloer Philharmonikern in Riga der Solotrompeter erkrankt. Nelsons, der im Publikum sitzt, holt rasch sein Instrument und spielt in der zweiten Konzerthälfte die Symphonie fantastique

  • Beim Dirigieren der Werke Wagners fühlt man sich laut Nelsons wie ein Marathonläufer: „Entweder du stirbst nach den ersten 20 Kilometern, oder du überwindest den toten Punkt und hast das Gefühl, ewig weiterrennen zu können.“

  • Nelsons bezeichnet sich selber als schüchtern und bringt mit seiner Zurückhaltung im Gespräch gelegentlich JournalistInnen an den Rand der Verzweiflung

  • Bei Techno fühlt er sich unwohl, Barockmusik liebt er zwar, kann sie aber nach eigenen Angaben nicht, und nach Wagner ist er süchtig. Ganz allgemein empfindet er Musik als Nahrung und Medizin für die Seele

  • Er hat immer Lampenfieber, manchmal vor Proben mehr als vor Konzerten, weil es ihm hier erst gelingen muss, mit dem Orchester die „Chemie des Miteinanders“ herzustellen; außerdem leidet der Dauer-Jetsetter an Flugangst


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