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„Jedes Ding hat seine Zeit“ - dieser Satz der Rosenkavalier-Marschallin ist das Lebensmotto Christa Ludwigs später Jahre. Am 14. Dezember 1994 gibt die 66jährige Jahrhundert-Mezzosopranistin ihre Abschiedsvorstellung an der Wiener Staatsoper. Seit 1955 ist sie hier Ensemblemitglied, 769 Vorstellungen und 42 unglaublich unterschiedliche Rollen lang; und parallel dazu gelingt ihr auch noch eine Weltkarriere zwischen Bayreuth, Scala, Met, Covent Garden und als Lied- und Konzertsängerin. Draußen schneit es. Kaum ist die Vorstellung zu Ende, läuft Christa Ludwig hinaus in den Schnee. Sie öffnet den Mantel, macht den Hals frei: sich endlich in Ruhe erkälten dürfen, endlich nicht mehr aufpassen auf „diese blöden Stimmbänder“! Davor liegt fast ein halbes Jahrhundert des Sich-Schonens, des Lebens aus dem Koffer, des Schweigens zwischen den Vorstellungen, der Angst vor dem Versagen der Stimme, der eisernen Disziplin. Heute sagt Christa Ludwig, sie würde nie wieder Sängerin werden. Sie hätte aber eben nur dieses eine Talent gehabt. Doch ausgezahlt habe es sich: „Wenn man so richtig schön geschrien und es den Leuten gut gefallen hat, dann ist das eine ungeheure Befriedigung. Besser als Liebe zu machen.“
© Ulla Pilz - Radio Österreich 1

Wissenswertes


  • geboren am 16. März 1928 in Berlin. Der Vater Anton Ludwig ist Tenor, Regisseur und später Intendant, die Mutter, die Altistin Eugenie Besalla-Ludwig, wird zur einzigen Lehrerin ihrer Tochter und begleitet deren Karriere bis zu ihrem Tod 1993

  • 1945 Bühnendebut in Gießen, wo ihr Vater Theaterdirektor ist, in der Folge Engagements in Frankfurt (Orlowsky in der „Fledermaus“ mit 18 Jahren), Darmstadt und Hannover

  • 1954/55 erlebt sie ihren Durchbruch, als Karl Böhm sie für die Salzburger Festspiele als Zweite Dame in der „Zauberflöte“ und an die Wiener Staatsoper als Cherubino in „Le nozze di Figaro“ engagiert

  • 1957 Hochzeit mit Walter Berry, ein gemeinsamer Sohn. In die Zeit der Scheidung um 1970 fällt auch ihre erste Stimmkrise. Von 1972 bis zu seinem Tod 2011 ist sie mit dem französischen Regisseur Paul-Émile Deiber verheiratet

  • Wichtigste Debuts: 1959 Met (ebenfalls als Cherubino), im Laufe der 60er Jahre zeigt sie auch in Bayreuth (Brangäne in „Tristan und Isolde“), an der Scala (Eboli in „Don Carlos“) und in Covent Garden (Amneris in „Aida“) ihr riesiges stimmliches Spektrum

  • Zahlreiche Auszeichnungen, vom Großen Ehrenzeichen der Republik Österreich über den Offizierstitel der französischen Ehrenlegion, den Berliner Bär, die Ehrendoktorwürde der Chopin-Universität Warschau bis zum Grammophone´s Lifetime Achievement Award

  • Die für sie wichtigsten Dirigenten sind ihr „spiritueller Vater“ Karl Böhm, Herbert von Karajan (unter dem sie sich wie auch schon ihre Mutter vor ihr die Sopranpartie der Fidelio-Leonore erobert) und Leonard Bernstein, der ihr „die Musik erst enthüllt“

  • Heute lebt Christa Ludwig in Klosterneuburg bei Wien, nicht weit von ihrem Sohn Wolfgang Berry und dessen Familie entfernt


Schon gewusst?


  • Als die Familie 1944 ausgebombt wird, hält sich Christa Ludwig über Wasser, indem sie in amerikanischen Offiziersclubs Gershwin singt und bei der Gelegenheit nach eigenen Angaben Servietten und Zigaretten stiehlt

  • Karajan droht Ludwig und Janowitz einmal, er würde sich andere Solistinnen suchen, wenn ihnen die Luft ausginge. Ludwig kontert, er werde keine besseren finden. Darauf Karajan: „Wenn das so ist, muss ich eben versuchen, schneller zu dirigieren.“

  • Während ihrer legendären Aufnahme von Mahlers „Lied von der Erde“ begegnen sich Ludwig und Fritz Wunderlich nur ein Mal für ein Mittagessen. Er schwärmt von seiner Frau, sie ist entsetzt, als sie danach erfährt, dass er noch eine Andere hat

  • Der Titel ihrer Autobiographie ist " …und ich wäre so gern Primadonna gewesen“. Dabei ist Christa Ludwig fast eine Anti-Diva, die betont, Mezzosoprane stünden mit zwei Füßen auf dem Boden.

  • Seit ihrem Abschied von der Bühne übt sich Christa Ludwig im Loslassen und singt nicht einmal mehr unter der Dusche. Sie gibt aber Meisterkurse, wobei sie das Wort nicht mag, weil Sänger ewig lernen müssen und demzufolge nie Meister sein können.

  • Opern hört sie heute keine mehr. Sie sagt, sie finde alle grässlich, weil sie seit ihrer Kindheit einfach zu viele davon gehört habe. So kommt es auch, dass sie bereits mit vier Jahren die Arie der Königin der Nacht auswendig singen kann

  • Christa Ludwig wünscht sich, dass bei ihrem Begräbnis Mahlers „Ich bin der Welt abhanden gekommen“ zu hören ist, gesungen von ihr selbst. Nur bei der Wahl der Aufnahme ist sie noch unsicher


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