Gerade 19 Jahre alt war Franz Schubert, als er seine vierte Symphonie komponierte, der er selbst den Beinamen Tragische gab. Der deutlichen Melancholie der langsamen Einleitung folgt ein stürmisches Allegro vivace, in dem die Schubert-Forschung - wie überhaupt in der gesamten Symphonie - die Spuren Beethovens zu entdecken wußte. Tatsächlich sind Parallelen zwischen Schuberts Allegro-Thema und demjenigen aus Beethovens Streichquartett c-Moll op. 18/4 nicht von der Hand zu weisen; desgleichen gibt es Beziehungen zur Coriolan-Ouvertüre, die gleichfalls in c-Moll steht.
Das Andante wird von einem Thema beherrscht, dessen Gesanglichkeit für Franz Schubert typisch ist. Nach Menuett und Trio schließt sich der Kreis: Das abschließende Allegro-Hauptthema und seine furiose Durchführung sowie die strahlende Coda schlagen den Bogen zurück zum ersten Satz.
Nikolaus Harnoncourt wurde 1929 in Berlin geboren. Unzufrieden mit der gängigen Interpretation alter Musik gründete er 1953 mit seiner Frau Alice in Wien das Ensemble Concentus musicus Wien. Der ungewohnte, fast radikal anmutende Musizierstil und die ausschließliche Verwendung historischer Instrumente begründeten den Ruf dieses Ensembles. Triumphale Tourneen machten den Concentus musicus weltweit bekannt. Neben der Leitung seines Ensembles dirigerte Harnoncourt regelmäßig die Berliner und Wiener Philharmoniker, das Concertgebouworkest Amsterdam, das Chamber Orchestra of Europe und andere führende Ensembles.
Am 5. Dezember 2015, einen Tag vor seinem 86. Geburtstag, gab Nikolaus Harnoncourt bekannt, daß er seine Karriere beende; am 5. März 2016 verstarb er.
Spielte man bislang die Symphonien Franz Schuberts in der von Johannes Brahms edierten und romantisierten Version, so fragt Harnoncourt nach dem ursprünglichen Charakter der Schubertschen Musik, nach Schuberts Intention. Harnoncourt greift auf Schuberts Handschriften zurück, vergleicht und bereinigt. Er befreit die Partitur von allen späteren, entstellenden Zutaten. Das Ergebnis dieser Restaurierungsarbeit ist verblüffend: ein Schubert voller Dramatik, mit einem viel breiteren dynamischen Spektrum als man es bislang gewohnt war - Harnoncourt spielt Schubert pur.
Diese Aufnahme entstand im Dezember 1984 im Wiener Musikvereinssaal.