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Am 5. März 1953 sterben in Moskau innerhalb einer knappen Stunde zwei Männer an einer Hirnblutung. Der Tod Josef Stalins löst im ganzen Land eine derartige Hysterie aus, dass der von Sergej Prokofjew fast unbemerkt bleibt.
Tags darauf entführen Milizionäre das Streichquartett, das bei der Trauerfeier für Prokofjew spielt, zum Gewerkschaftshaus, wo der Diktator aufgebahrt liegt.
Dort spielen die vier dann drei Tage lang Tschaikowsky.
Kaum eine Komponistenbiographie ist so vielfältig mit der Geschichte der Sowjetunion verknüpft wie die Prokofjews. 1918 verlässt er das neu geborene Land, entscheidet sich aber 1936 zur Rückkehr, und das ausgerechnet in der Hochzeit der Stalinistischen Säuberungen.
Prokofjew wird fast zum Haus- und Hofkomponisten, bis 1948 auch ihn der Bannstrahl des Systems trifft: Seine Musik sei „volksfremd“ und „formalistisch“ und darf ein Jahr lang nicht aufgeführt werden.
Der Komponist leistet so untertänig Abbitte, dass man es beinahe für Ironie halten könnte.
Die Frage, warum Prokofjew Stalins Spiel so lange mitspielt, wird bis heute ganz unterschiedlich beantwortet: Wahlweise wird er als desinteressiert, opportunistisch oder egozentrisch eingestuft; unbestritten bleibt allein die Qualität seiner Musik.

© Ulla Pilz, ORF - Radio Österreich 1

Wissenswertes


  • 1891 in Sonzowka, russisches Kaiserreich (heute Ukraine) geboren

  • 1895 erster Klavierunterricht

  • 1896 erste Kompositionsversuche

  • 1900 erste Oper „Der Riese“, erstes anerkanntes Bühnenwerk „Maddalena“ 1911

  • 1904 Aufnahme ins Konservatorium St. Petersburg, studiert Komposition, Klavier und Dirigieren, Abschluss 1914

  • 1913 erste zahlreicher internationaler Konzertreisen

  • 1918 Emigration über Sibirien und Japan in die USA, ab 1922 lebt er in Europa

  • 1936 Rückkehr in die Sowjetunion, lebt ab nun in Moskau, während des 2. Weltkriegs in Alma Ata, Kasachstan, im selben Jahr Vollendung zweier seiner populärsten Werke, „Peter und der Wolf“ und „Romeo und Julia“

  • 1938 beginnt, Filmmusik zu komponieren (etwa für Sergej Eisenstein)

  • 1945 Sturz, Gehirnerschütterung, seither gesundheitliche Probleme

  • 1948 Schauprozess wegen „formalistischer Tendenzen“

  • 1953 weiterer Sturz, Hirnblutung, er stirbt am 5. März


Schon gewusst?


  • Das erste Werk des fünfjährigen Prokofjew heißt „indischer Galopp“ und ist nur neun Takte lang

  • Er hat ein fantastisches Gedächtnis, kann sich noch als über 50jähriger an die in frühester Kindheit geschriebenen Stücke erinnern und sie notieren

  • Als junger Mann schreibt Prokofjew surrealistische Erzählungen, in einer davon verliebt sich der Eiffelturm und wandert nach Babylon

  • Seine Rückkehr in die alte Heimat argumentiert er damit, dass fremde Luft seiner Inspiration nicht bekomme und er mit Menschen sprechen müsse, die ihm etwas zurückgeben können, was er anderswo vermisse: ihre (und damit seine) Lieder

  • Sergej Prokofjew ist ein gefürchteter Autofahrer, es heißt, er fahre „wie ein Henker mit seinem Ford durch Moskau“

  • Trotz seines Rufs, ein westlicher Dandy zu sein, erscheint er zu seinem Prozess in Trainingsanzug und Gummistiefeln

  • Prokofjews berühmtestes Zitat: „Es gibt noch immer so viele schöne Dinge, die man in C-Dur sagen kann“


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